Karl Bund Georgstr 29 52078 Aachen D I E Z E I T V O M 10. 9. - 9. 10. 44 Chronist G. MUELLENMEISTER 10.9.44 Vor dem 10. 9. 44 schon gingen durch die Stadt Aachen Geruechte ueber eine bevorstehende Raeumung, die die Einwohner in hoechste Erregung brachten. Zeitweise wurden sie widerrufen, um alsbald von neuem aufzu- tauchen und die Bevoelkerung in eine aufs hoechstmass gesteigerte Angst und Unruhe zu versetzen. Viele quaelten sich mit dem Zweifel: Was tun? Raeumen mit dem Abtransport? - Oder in der Stadt bleiben? In beiden Faellen drohte Gefahr, eine Zukunft, deren Ungewissheit uns vor Schrecken beben liess. Phantastische Geruechte ueber all das, was in beiden Faellen ueber uns hereinbrechen koennte, schwirrten wie Giftkaefer durch die Stadt. Denen, die hier verweilen wollten, versprach man Bombenteppiche auf den Westwall, auf die Stadt, die Bunker, genau so wie auf den Atlantik-Wall, nachher Beschuss der durch die Stadt ziehenden Feindtruppen durch unsere Wehrmacht - eine Stadt ohne Licht, Gas und Wasser, ohne Zufuhr von Lebensmitteln. Im anderen Falle winkte Feindbeschuss der Zuege, Fluechtlingselend auf unbestimm- te Zeit - Verlust des haeuslichen Besitzes, der Existenz. - Manche hielten den Westwall fuer widerstanfsfaehig auf Monate. Aber dann stand Aachen unter beiderseitigem Beschuss. Am 10. 9. ist Hinmler in Aachen zur Besichtigung der Verteidi- gungsanlagen als Beauftragter vom Fuehrer. Spaet am Abend betrete ich unsere Bunkerzelle und finde dort Menschen, die durch Angst und Zweifel der Ohnmacht und Zerris- senheit anheimfielen. Ploetzlich horchen wir alle auf. Eine massgebende Persoenlich- keit, die mit dem OB in Verbindung steht, haelt eine troestli- che Rede. Der Herr Oberbuergermeister laesst den Aachnern sagen, dass er vorlaeufig nicht an Raeumung denke. H. sei hier gewesen, habe versichert, dass eine Befreiung der deutschen Truppen aus dem Kessel bei Antwerpen zu neuen Hoffnungen berechtige. Wie von einem Sturmwind herausgefegt wich die Friedhofsstim - mung aus unserer Zelle und machte der alten Fidelitas Platz. Das Stimmungsbarometer stieg bei der Tasse Bohnenkaffee, man ass wieder mal ein Butterbrot mit gutem Appetit. 11.9.44 Trotzdem herrschte am 11. 9. wieder Panikstimmung in der Stadt. Die Einkaufspanik, die sich besonders auf Lebensmittel erstreckte, steigerte sich. Im Laufe des Tages wurde bekannt gegeben, dass bis 7 Uhr Muetter mit Kindern und alte Leute Gelegenheit haetten, abzudampfen. Viele hatten in den vergangenen Tagen Aachen bereits verlassen, um entfernte Verwandte aufzusuchen, mussten aber dafuer einen be- sonderen Polizeiausweis haben. Immerhin waren noch am 9. 9. in Aachen an 98.000 Einwohner Lebensmittelkarten ausgegeben worden. 12.9.44 Am 12. 9. im Spaetnachmittag bringt man unserem Haus (Peterstr.) die Marschzettel. Abmarschtermin am 13. 9. um 8 1/2 Uhr, Beeckstr. Es heisst: Hier in Aachen verweilen ist verboten. bisher war das noch freigestellt. Grevenstein, die vorhatten, im Stollen zu kampieren, kommen zurueck. Alle Stollen und Bunker werden geschlos- sen. Am Abend holt Martin mich ab zwecks UEbersiedlung zur Helfferich- strase in Conrads Haus, wo auch Familie Corsten wohnt. Das Flucht- gepaeck ist auf ein Rad gebunden, das Martin unterwegs fuer 50 RM und Zigaretten erhandelte. Wir zieh'n durch fast menschenleere Strassen. ab und an taucht ein Trupp Fluechtlinge auf, der zur Bahn wandert. Kleine Handwagen, Kinderwagen aus allerhand Stilperioden, Koffer, phantastische Rucksaecke, in der Eile aus allerhand kuriosem Tuch hergestellt, kennzeichnen die Auswanderer. In der Helfferichstrasse gedachte ich eine im Sinne von Martin C. zum Verweilen in Aachen entschlossene Gesellschaft vorzufinden. Statt dessen: Hoechste angstpanik, fliessende Traenen, nervoese Pack- wut, ausgeloest durch eiligste Fluchtbereitschaft. Die eingeleg- ten Eier werden zum Teil verschenkt, teils schonungslos aufgezehrt, auf dass kein Fremder sie verzehre. Nicht nur Proviant, Kleider, Waesche, auch ein Spinnrad, in einem Sack verpackt, sollten mit auf die Flucht. Martin hat sein ganzes Fuehrertalent noetig; die aufgeregten Gemueter auf die Bahn eines vernuenftigen Handelns zu bringen. Auch kopflose Nachbarschaft, die in der hoechsten Not herbeigeeilt war, musste fuer Vernunftgruende reif gemacht werden, ging aber schliesslich entschlossen und dankbar nach Hause. Man fuegte sich Martins strengen Anordnungen, mit Fassung und Zuversicht hier zu verweilen. Aber gepackt wurde doch, um dennoch im gegebenen Fall auszukneifen. Wir speisten zu Abend am runden Tisch im Esszimmer. Gutes warmes Essen! Danach: Neue Erregung ueber die naechtliche Unterkunft. Stollen, Bunker oder Hauskeller? Den aengstlichen Gemuetern entgegen dringt die Entscheidung durch: Haus, bzw. Hauskeller. Ich schlafe auf der Couch im Wohnzimmer. Anhaltendes Flakschies- sen von nah und fern. 13.9.44 Am 13. 9. loest die Flakstellung hinter unserem Hause sich auf. Wir hoeren die Sprengungen, sehen die Braende. Abzug der Flaksol- daten. Viele Bewohner der Beverau waren entschlossen, nicht abzuwandern. In Frankenberger Bunker sollen noch Tausende sein, die fest gewillt sind, Aachen nicht zu verlassen. In der Nacht hatte im Bunker ein Vertreter des Grafen Schwerin, dessen Panzerdivision die Stadt zu verteidigen hat, zum Volke gesprochen: Noch nie ist eine Stadt so unvorbildlich geraeumt worden wie Aachen. Partei und Polizei haben die Stadt verlassen, noch ehe sie von Zivilisten geraeumt war. Ein Abtransport der noch Harrenden ist unmoeglich. Das Volk soll bleiben und der Wehrmacht zur Seite stehen. In der Tat kamen die Leute, die gestern zur Bahn gingen, heute zurueck. Darunter auch Pfannschmidt, nachdem sie alle Vorraete verzehrt hatten, unterwegs den Buttertopf zerbrochen, mussten sie nun bleiben. Viele Abtransportierte lagen bei Dueren. Viele setzte man 15 km von Aachen ab. Auf telef. Anrufe meldete sich kaum einer. Alle waren scheinbar fort. Bloss die Franziskanerinnen (Kleinmarschier- str.) meldeten sich, entschlossen zu bleiben. Von ihnen erfuhr ich, dass der Block Peterstr. nicht mitgekommen war am Bahnhof und in Aachen verblieben waere. Die Flak hoerten wir nicht mehr, dafuer aber Artillerie-Donner im Westwall, immer lauter werdend. Ich stehe mit Martin am Fenster, beobachte die anhaltenden Ein- schlaege in der deutschen Stellung im Wald, ueberall dem Hoehenzug entlang, wo es nach Aussage entfliehender Soldaten gespickt voll deutscher Truppen stand. Am Abend faehrt ein Auto mit Waffen S5 vorbei. Der Offizier darin sagt, dass er Unterkunft fuer den Stab sucht. Er glaubt, dass ein Entkommen der Zivilbevoelkerung aus der Stadt unmoeglich ist, sofern sie noch bis morgen wartet. Nachdem die Flak den Gefechtsstand verlassen hatte, beginnen Franz C. und Edg. Pf. zu organisieren in grossem Stil. Es schwir- ren ins Haus: 1 Sack eiserne Ration, 1 Kiste Knaecke Brot, 5 Ka- ninchen, 1 Radiogeraet, 80 l Benzin, Milch von den umherirrenden Kuehen. Alle Mahlzeiten werden ueber der Erde eingenommen. Am Abend draengen die aengstlichen Gemueter wieder, in den Stollen oder Bunker zu gehen, weil der Feind naeher rueckt. Auf Martins Befehl bleiben wir im Hause. Gute Stimmung herrscht vor in der Erwartung, dass in wenigen Stunden alles Schwere vorbei ist. Am Abend verlegen wir das Nachtlager in den Keller. Couch, Liege- stuehle, Sessel, eine Matratze am Boden dienen als Nachtlager fuer die achtkoepfige Hausgemeinde: Conrads, Dorsten, Franzen, Muellenmeister. 14.9.44 Donnerstag. Am Morgen wird's ernst. Schon zeitig wird aus dem Artillerie-Beschuss ein Artillerie-Duell. Die Feinde pfeffern vom Wald, die unsrigen antworten vom Osten und Norden (Soers) der Stadt her. (Lousberg) Wir hoeren, dass der Feind im Wahnbruch steht. Die Ausfallstrassen vom Wald her liegene unter staendigem Feuer. In der Richtung Ponttor, Ludwigsallee sieht man starke Ein- schlaege, auch in der inneren Stadt. Das Artillerie-Duell geht stundenlang ueber uns her. Im Morgen Ferngespraech mit Franz in Gelsenkirchen und Hanne in Dortmund. Wir warten mit Spannung und hoffen, dass in 2 Stun- den das Schwerste ueberstanden ist. Am Morgen sprechen wir mit Soldaten, die von Eupen kommend, froh sind, dass sie dem Aachener Wald entrinnen konnten. Sie fallen aus den Wolken als sie hoeren, da; sie hier vor Aachen sind. Sie sind matt und lustlos und denken nur an Gefangenschaft. Sie er- zaehlen, dass der Feind in grosser UEberzahl ist und viel bessere Ausruestung hat als wir. auf unsere Frage, ob's wohl gefaehrlich sei draussen, antworten sie:"Hier ist es ueberall gefaehrlich." Wir hatten noch allerhand Briefe geschrieben und wollten diese ihnen zur Weiterbefoerderung mitgeben. Das lehnten sie ab, weil sie nicht damit rechneten, aus Aachen herauszukommen. Nicht lange darauf kommen wieder zwei Soldaten gelaufen, atem- los, zitternd. Sie laufen schnell, hoffen noch nach Osten zu entrinnen. Bereitwiliig nehmen sie unsere Briefe mit. Das Artillerie bzw. Panzerfeuer wird immer heftiger. Die Ein- schlaege naehern sich unserer Strasse. Wir sitzen dicht beisammen im Keller. Das Haus bebt unter den Einschlaegen, die von der Gartenseite herkommen. Gruesse Amerikas aus dem nahen Aachener Wald. Kaum eine Pause! Kaum ein Nachlassen. Ein fester Schlag - das Licht ist aus und bleibt erloschen im ganzen Haus! Nach beendetem Eisenregen wagen wir uns nach oben und gewahren die Zerstaerung an der Hinterfront. Wie von einem Bombenangriff sind die Scheiben zertruemmert in Esszimmer und Kueche. Granatsplitter durchquerten die Vitrine und bohrten Loecher in die Wand. Boeden, Moebel, alles voll Staub, Dreck, Gebroeckel. Splitter! Am Abend stehen wir am Strassenrand im Gespraech mit zwei vorueber- gehenden Soldaten. Ein Soldat ruft:" Achtung! Splitter!" Wie die Katzen schnellen wir an die Wand, liegen flach auf dem Boden. Sekundenlang pras- seln die Splitter um uns. Bange Sekunden! Neue Nacht, neues Raten und Zweifeln um den naechtlichen Aufenthalt. Martins Befehl: "Wir bleiben im Hauskeller" siegt. Im Keller brennt die gesegnete Kerze, waehrend wir in groueer Gefahr gemeinsam den Rosenkranz beten. Von heute ab gibt's kein Licht, kein Trinkwasser mehr. Wir sind ohne Radio, ohne Zeitung, abgeschnitten von der Aussenwelt. 15.9.44 Freitag. Die Nacht im Keller war ziemlich ruhig. Am Morgen lebt das Feuer wieder auf. Melken - Kochen! Unmoeglich! Gestern noch feudales Kaninchenessen mit Pudding - heute einfache Milchsuppe. Wir hocken zumeist im Keller, sehen Waffen SS vor- beigehen, hoeren ihren Panzer. Gegen 10 Uhr schweres Artilleriegetoese um uns. Das Haus erzittert, bebt in seinen Grundfesten. Wir sitzen eng zusanmengekauert in der aeussersten Kellerecke bei der gesgneten Kerze. Zum Lautbeten fehlt uns der Atem. Annni weint bitterlich. Am Hachmittag erscheinen feindliche Tiefflieger. Bordwaffenbeschuss! Sobald die Flieger weg sind, beginnt wieder das Artillerie-Duell. So geht das abwechselnd den ganzen Tag. Ohne Ende! Wir sitzen in Keller, denn es pfeift und zischt dauernd um uns. Tagsueber gehen Soldaten ueber die Strasse. Sie stossen ueberall die Gartentoerchen auf, auch bei uns, als gelengentliche Deckung. Nikolin erzaehlen, die von Amerikanern besetzte Gallwitz-Kaserne soll entsetzt werden durch unsere Waffen SS. Alles das senkt unseren Mut. - Wie die lange soll unsere Kellerhaft noch andauern? Wir beginnen, auszurechnen, wie lange die Hausvorraete noch fuer 8 Personen ausreichen. Bis 9 Uhr dauert der Beschuss. Am Spaetabend kommt Martin heim von Dr. Schul, bringt von dort gute Stiumung mit. Die Stollenleute gehn nur noch ait weisser Armbinde vor die Tuer, weil ihnen gegenueber im Brimborner-Waeldchen die Amerikaner zu sehen sind. Dem Waeldchen gegenueber unsere Stellung! Zwei Verwundete werden in den Stollen gebracht. Sie fragten gleich "Sind noch von den braunen Luemmels SA oder SS hier?" "Nein!" "Sonst haetten wir sie auch kaputt gemacht!" Gemeinsames Abendgebet im Keller bei guter Stimmung. - Bis in die zweite Haelfte der Nacht pfeffert die schwere Artillerie des Feindes vom Wald her ueber die Stadt hinweg, manchmal auch in die Stadt hinein. Mutige wollen oberirdisch schlafen, kommen aber bald herunter. Nur Martin und Franz bleiben oben. 16.9.44 Samstag. Dichter, fallender Morgennebel! Es wird heller, es beginnt der Kampf, vornehmlich mit Granatwerfern. Einschlaege in unserer Naehe. Von ferne hoert man den Rhytmus des rollenden Panzers. Eiliges Kaffeekochen! Fruehstueck gemeinsam unterirdisch. Kaplan B. holt Franz ab zum Melken. Hier im Hause wartet man den Zeitpunkt ab, da die Einschlaege sich von uns entfernen. Kaplan B. erzaehlt: "Noch ein Ausgang aus der Stadt, Juelicherstr. ist frei. Am Bluecherplatz ist gestern die Partei gelandet mit 24 Autos zum Abtransport der Stadtbewohner, 23 davon fuhren unbegehrt ab. Die weisse Flagge, die das Volk gehisst hat, reisst die Partei herunter. Nachdem die Parteileute wieder in die Weite gesaust sind, erscheint erneut die weisse Flagge. SS in Zivil wurde von Zivilisten in der Stadt entwaffnet. Die Waffen SS verdraengt die Feinde bis zum Waldrand. Also ist Amerika wieder etwas mehr von uns entfernt. Die Gallwitz-Kaserne und der Nellessen Park gehoeren den Amerikanenn noch, In der Stadt hat man die Geschaefte gepluendert, sich reichlich mit Alkohol versehen. Nach Mittag wuestes Artillerie-Feuer von hueben und drueben. Einschlaege in unserer Naehe, an der Giebelseite des Nachbarhauses steigt dichter Rauch auf. Wir kauern wieder in der Kellerecke bei der gesegneten Kerze. Dieses Drama wird abgeloest durch aufsteigende Flieger: 4 Deutsche, 8 feindliche. Es entspinnt sich ein Luftkampf, wobei ein Amerikaner getroffen wird. Der Pilot kann sich noch mit dem Fallschirm retten. Naehe Forster Kirche. Pfannschmidt verlassen in letzter Minute die Stadt, nachdem sie vorher ein Schwein geschlachtet haben. Auf der Hoehe von Wuerseln sieht man Braende. Noch eine Strasse, Juelicher Str. soll frei sein. Franz geht am Abend zum Bunker, um dort die versteckte Uliana frue- heres Hausmaedchen bei Conrads zu holen. Er kommt schwer getroffen zurueck, ohne Uliana. Unterwegs hoerte er von einem Soldaten, Aachen wuerde verteidigt und zwangsweise von Zivilisten geraeumt. Die nervoese Stimmung im Hause erreicht wieder einen Hoehepunkt. Martin hat Gewalt noetig, die Vernunft zur Geltung zu bringen. Gegen 1/2 6 beginnt eine Totalverneblung von Wald und Stadt. Amerikanische Flieger werfen Nebeltoepfe herunter. Die Fliegerverbaende erscheinen immer zahlreicher von der Feind- seite her. Philipp diktiert:"Zwischen 7 und 8 Uhr vollstaendige Vernebelung der Gemueter." Im Anschluss an die Vernebelung beginnt die Daemmerung. Diese Tar- nung benutzen die Amerikaner wohl, um naeher zur Stadt zu kommen. Heute nachmittag sollte ein Kalb geschlachtet werden, doch kam man nicht dazu. Die Feinde reden ja immer mit, wenn wir etwas vorhaben. Wir hoffen nicht mehr von Stunde zu Stunde, sondern von Tag zu Tag auf Befreiung aus unserem unterirdischen Gefaengnis. Franz und Martin gehn zum Stollen, erfahren dort ebenfalls, dass Aachen zwangs- weise geraeumt werden soll. Schmeer (Kreisleiter) ist in der Stadt gewesen. Autos stehn bereit. Was wuerde aus uns, wenn Stollen und Bunker zwangsweise geraeumt wuerden? Oder sollten wir auch raeumen? - Dieser Gedanke loest eine traurige zweifelerfuellte Stimmung aus. - Erneutes Packen in bebender Sorge, mit der ungeloesten Frage:Was wird aus uns? Das Abendbrot in Keller verlaeuft still und schweigsam. Gegen 1/2 11 gehn Martin und Dr. Sch. zum Bunker bzw. zu Kaplan B., werden un- terwegs von einer Streife (Dr. Dreising) angehalten. Gemeinsames Abendgebet. Um 12 Uhr erscheint Hartin, bringt dieselbe Nachricht von der Restraeumung. Morgen, Sonntag, ist Martins letzter Urlaubstag. Dann will er unter allen Umstaenden pflichtgemaess fort. Was wuerde dann aus uns ohne Ihn ? Sollten wir nicht besser gleichzeitig mit fort? Martin und ich stehen noch lange am offenen Mansardenfenster, schauen in die Nacht hinaus und beraten. Die feindliche Artillerie drhoent von der Triererstrasse her und liegt auf den beiden noch freien Aus- fallstrassen. Wuerseln hat Feuerschein. Um 2 Uhr gehe ich zu Bett und schlafe gegen 5 Uhr ein. 17.9.44 Um 1/2 7 stehe ich auf. Martin ist auch schon da in Militaerkleidung und macht sich abfahrtsbereit, da heute sein Urlaub zu Ende geht. In unserer Kellerkueche richte ich ihm Fruehstueck und Proviant zum Mitnehmen. Waehrend ich eilig mit Messer und Brot hantiere, stuerzen ploetzlich erregte Geister die Treppe hinunter mit dem Ruf:Ameri- kaner um unser Haus! Nun wagt sich niemand mehr hinaus. Auch Martin muss bleiben, um nicht unbewaffnet in die Haende der Amerikaner zu fallen. Gegen 10 Uhr schleicht Kaplan E. vorbei zum Stollen, den Messkof- fer in der Hand. Bei jedem Artillerie-Schuss duckt er sich hinter einem Gartenpfoertchen. Man kann nur noch auf dem Buergersteig der Haeuserreihe entlang gehen und mit groesster Vorsicht, denn unsere Strasse ist schon ganz vermint. Den ganzen Tag donnern die schweren amerikanischen Geschuetze vom Suedosten her zum Nordosten der Stadt hin. Gegen 12 Uhr erscheint ein Nachbar. Er berichtet von einen Major, der alle Haeuser auf deutsche Militaerpflichtige absuchen lassen will. Aus dem Stollen erfuhr man, dass der Feind dem Divisionskonnandeur Graf Schwerin eine Verhandlung zwecks UEbergabe der Stadt brieflich angeboten habe. Graf Schw. ueberlaesst dem zivilen Stadtoberhaupt die Entscheidung. Dieser schickt die Frage zur Entscheidung nach Berlin zum Fuehrer. Graf Schw. wird sofort zum Fuehrer bestellt. Er soll vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Darauf erbittet er sich die Freiheit, Aachen zu verteidigen, bevor er sich dem Gerichtshof stelit. Augenblicklich heftiger Tiefangriff der Jagd Bomber auf die deutsche Stellung mit Bordwaffen und Explosivgeschossen. Von SS Soldaten hoeren wir, dass der Feuerring um Aachen geschlossen ist. Also bleibt keinem von uns eine Wahl. Der Feldwebel in unserer Naehe will sich mit seinen 3O Mann ergeben. Allein seine Leute wollen nicht, sie hoffen, zu entkommen. Viele von ihnen tragen einen Zivilanzug unter dem Militaerrock. Von 2. Stock aus sehen wir, wie die Juelicherstr. unter Feuer liegt, kurz vor Haaren. Martin ueberlegt, ob er nicht doch fort kann. Seit dem Mittagessen dauernd lebhafte Feindfliegertaetigkeit. Dazu das gewohnte Bombardement. Gegen 3 Uhr Ende des Luftangriffs. Vom Drimborner Waeldchen her spricht ein amerikanischer Lautsprecher. Den ganzen Tag sind bei uns die Rollaeden vor, damit kein Major oder Soldat auf den Gedan- ken kommt, unser Haus berge wehrfaehige Maenner. Am Nachmittag schleichen Martin und Franz C., der zum Arbeits- dienst verpflichtet ist, durch ein Heckenloch in Schleichers Haus, um am Abend, nachdem der Herr major die Haeuser abgesucht hat, heimzukehren. Als die beiden Jungen fort sind, sitzen wir im Keller und beten gemeinsam den Rosenkranz. Flintenschuesse, Handgranaten um uns! Wir gehen zeitig zu Bett mangels Wachslicht. Die Lagerstaetten sind teils im Erdgeschoss, teils im Keller. Im Erdgeschoss auf dem Boden, in geschuetzten Ecken liegen Anni, Lilli, Fine. Marianne, Philipp und ich sind im Keller. Immer noch Nachtkampf zwischen Spaehtrupps um uns herum. Um 1/2 2 Uhr werden wir aufgeschreckt durch nahe Granateneinschlaege. Wir hoeren das Glas klirren und riechen den Pulverdampf. Die Ober- irdischen steigen zu uns herunter, und wir ruecken etwas naeher zu- sammen. Gegen 5 Uhr schlafe ich ein. 18.9.44 Am Morgen immer Fehde zwischen den deutschen und amerikanischen Spaehtrupps. Beim Sonnenaufgang laesst die Kampftaetigkeit nach. Dichter Nebel. Von einer Nachbarin erfahre ich, dass man gestern auf dem Ruebenfeld hinter Pfannschmidt einen deutschen Soldaten begraben hat. Ich ueberlege, um mit ihr zusammen im Stollen auf Beverau Lebensmittel zu holen. Fuer die dort weilenden 200 Personen gibt's ab und an Zuteilung, die auch noch fuer die Nachbarschaft ausreicht. Frau G. ist aber zu aengstlich, mit mir zu gehen. Ihr Mann wurde naemlich gestern von einem urploetzlich auftauchenden Amerikaner mit vorgehaltener Pistole angehalten. "Soldat?" rief er. Nachdem er alle Taschen durchsucht hat, glaubte er dem Mann die Verneinung. Der Morgen bringt ein grosses Reinemachen in allen Raeumen, die gartenwaerts liegen. Die Einschlaege der Nacht haben merkliche Spuren hinterlassen. Zwei Kaninchen sind tot, das dritte hockt schwer getroffen vor der Haustuer und bittet um Einlass. Der Pfirsichbaum hat einen Treffer mitten in die Krone. Die kostbare Pfirsichlast liegt zu 3/4 am Boden. Man sieht, wie die Granatsplitter von der Baum- krone her auf die Hauswand und ins Haus hinein spritzten, Boeden und Fenster in Stuecke reissend. Lillis Schlafzinmer (1. Stock) ist mit 19 Einschlaegen am schlimmsten getroffen. Es ist eine Heidenarbeit, die Zimmer von Staub, Schutt und Scher- ben zu befreien. Waehrend des grossen Reinemachens verdruecke ich mich in den Keller, sitze vor meinem Ausguck, um zu erspaehen, was vorbeigeht. Ploetzlich erscheinen Leute. Eine Familie stuermt vorbei, atemlos, wie gehetzt, beladen mit Sack und Pack. Es ist Familie H. aus der Viktoriaallee, die nun vor unserer Tuer steht und um Einlass bittet. Familie H. flieht, weil der Frankenberger Bunker, der ihre Zuflucht war, von SS und SA gewaltsam geraeumt wird. Mit Roheit und Grausamkeit zwingt man die Insassen zum Abtransport ins Reich und ruft ihnen zu:"Lungert das faule Volk hier herum; waehrend wir rechtsrheinisch die Haende brauchen, um Munition zu machen." Das Volk wehrt sich, haelt den fein vestriegelten Gewalthabern vor, dass sie in der Front eine wichtigere Aufgabe zu erfuellen haetten. Den Bitten und Drohungen der Menge trotzend, rufen sie gespreizt der Menge zu:"Ruehrt uns mal an!" Mutige treten vor und gemahnen mit erhobenem Zeigefinger:" Das besorgen schon andere fuer uns." (gemeint sind die Amerikaner) Ich hoerte Vater H. zu seinen drei Toechtern sagen:"Kinder, ver- gesst nicht, dass man eucn in dieser Stunde das Deutschtum aus- getrieben hat!" Mehrere Tausend sollten aus dem Bunker weggefuehrt werden. Wohin? Die bereits Abtransportierten harrten vergebens am Bahnhof, wur- den 15 km hinter Aachen abgesetzt, um dann auf Wiesen lagernd einem ungewissen Schicksal entgegen zu sehen. Deutsche Soldaten, die das Fluechtlingselend am Bahnhof erlebt hatten, aeusserten zu Vater H. :"W1r sind harte Maenner, als wir aber das Fluechtlingselend gesehen hatten, konnten wir nicht mehr auf einen Amerikaner schiessen." Den Morgen ueber kein Artilleriefeuer und keine Panzertaetigkeit, nur Stosstruppgefechte, anscheinend vom Kirschenbueschchen bis zur Bruecke, immerhin noch gefaehrlich fuer uns. Zugleich unser Glueck! Denn hierher wagt sich keine SS oder SA mehr hinauf. Wir verwandeln unser Haus in eine Art Festung, halten Tuer und Fenster fest geschlossen, Rolladen herunter, bewegen uns nach Moeglichkeit lautlos, sprechen im Fluesterton. Wir sind sogar entschlossen, das warme Essen einzustellen, damit der Kaminrauch uns nicht verrate. Nach dem Essen verlegen wir das Nachtlager in den Heizungskeller, stellen dort 2 Betten auf und 1 Sofabank zu der schon vorhandenen Couch. Somit Schlaf- gelegenheit fuer 6 Personen. Martin und Franz verschwinden durch die Gartenhecke zu Schleicher, um dort ihr verstecktes Leben weiterzufuehren. Den ganzen Tag schwere Gefechtstaetigkeit in unserer Naehe! Die Deutschen haben die Amerikaner vertrieben aus dem Kirschenbuesch- chen. Diese machen einen Gegenstoss. Man kann sich nur im Keller aufhalten. So schwer sind die Treffer, dass das Ehepaar Schmitz in seinem Keller getoetet wird. Auch wir haben 3 Einschlaege in den Garten. Im Dunkel kommen Martin und Franz unbemerkt zu uns herueber zum Abendbrot. Familie H. will auch ins Nachbarhaus uebersiedeln, um mit Franz und Martin ein verborgenes Dasein zu fuehren. Denn auch Herr H. ist militaerpflichtig und moechte keineswegs von Deutschen aufgespuert werden. H. verschwindet zuerst lautlos durch die Hecke, spaeter Franz und Martin. Wir sind alle sehr beschwert durch die Furcht vor den feind- lichen Geschossen, mehr noch durch die Angst, von den "deut- schen Freunden" entdeckt zu werden. Im Fortgehen sagt Martin:"Kinder betet, davon haengt alles ab!" Nachdem diese fort sind, halten wir gemeinsames Abendgebet, lang und instaendig. 19.9.44 Die Nacht ist verhaeltnismaessig ruhig. Gegen 10:22 gewahren wir einen Einschlag in unserer Naehe, das gewohnte Klirren und Knacken. Am Morgen sehen wir, dass Eberts Haus gegenueber schwer getroffen ist. Die Splitter dieses Treffers gingen auf unser Haus und tra- fen die Scheiben der Vorderfront. Auch an der Giebelseite sind die Scheiben kaputt. Nach 9 Uhr Horgens beginnt die schwere amerikanische Artillerie ihre Arbeit. Die Einschlaege liegen im Hirschenbueschchen, wo wie- der die Deutschen sitzen. 11 Uhr gemeinsames Fruehstueck. Vor den schweren Einscnlaegen ver- kriechen wir uns in die Kellerecke, hocken dort bis Mittag. Franz erscheint und bringt eine amerikanische Wochenzeitung, die in rauhen Mengen auf die Nachbaruiese abgeworfen wurde. Der ameri- kanische Bericht sagt, dass Aachen von allen Seiten eingeschlossen ist, nur zwischen Merkstein und Weisweiler ist noch eine Luecke frei. Also kann nur noch die Krefelderstr. einen Ausgang aus Aachen bieten. Eilendorf, Eschweiler, Stolberg, Roethgen sind in anerikanischer Hand. Franz requiriert einen herrenlosen Tempo-Wagen, bringt damit Brot fuer uns und fuer den Stollen, auch Maggi, Papier, eine Petro- leumlampe. Bis zum Abend Artillerie-Beschuss. Allerhand Einschlaege, doch ferne von uns. Gegen 11 Uhr schwere Einschlaege hinterm Haus, aehnlich Bombenein- schlaegen. Das dauert bis 2 Uhr. 20.9.44 Deutsche Soldaten haben sich in den verlassenen Haeusern der Sever- au versteckt, daraus geschossen. Die Amerikaner antworten darauf. Fast jedes Haus hat einen Treffer. Auch der Bauernhof Vondenbusch ist ein Verteidigungsstand. Da ein Aufenthalt in den oberen Raeumen unmoeglich ist, wird der Herd heruntergeschafft in den Keller, wo sich dann allmaehlich eine vollwertige Kueche entwickelt, in der nun fuer 15 Personen (Fami1ie A. zaehlt auch dazu) gekocht und gebacken wird. 21.9.44 Die letzte Nacht verlief wesentlich ruhiger als gewohnt. Nur maessi- ges Artillerie-Feuer! Im fruehen morgen gehen Anni und ich auf's Kartoffelfeld zum Ernten. Unbedingte Notwendigkeit fuer die Kueche. gegen 13 Uhr gehn 2 Urlauber vorbei, wollen Verwandte auf Beverau besuchen, nachdem sie vergebens versuchten Brand zu erreichen, das schon in amerikanischer Hand ist. Tagsueber beiderseitige Artillerie-Taetigkeit. Scheinbar handelt es sich um die Eisenbahnbruecke (Bahndamm), die in der Feuerlinie der Deutschen liegt. 22.9.44 Die Nacht verlief schoen ruhig, nur entfernte Artillerie Einschlaege. Am Morgen sind wir zeitig bei Opitz, holen Bedarf fuer die Kueche, waehrend die amerikanische Artillerie ueber uns hinweg saust. Dauernder Artillerie-Beschuss der Haeuser auf der Beverau, wo unsere Soldaten sich eingenistet haben. Mehrere Haeuser brennen nieder. Die Beverau wird ein Truemmerfeld. Vie1e Haeuser sind schwer getroffen. Es ist auch gefaehrlich fuer die Zivilleute im Stollen, dass Soldaten darin ein- und ausgehen, sogar davor stehen. Die Amerikaner besitzen Kirschenbueschchen, Brimborner Waeldchen, Nellessen-Wald, mithin auch die linke Seite unserer Strasse, gegen- ueber sind die Deutschen. Am Nachmittag faehrt ein deutscher Panzer vor, haelt wenige Haeuser unter uns in der Helfferichstrasse. Er soll 200 Schuss auf den Amerikaner abgeben. Beim 2. Schuss Rohrkrepierer. Der Panzer muss abziehen. Ein neuer Panzer erscheint und zieht wieder ab mit dem gleichen Misserfolg. Kaplan B. ist unermuedlich in seinem Eifer fuer das gestige und leibliche Wohl der Anwohnerschaft. Regelmaessig hl. Messe im Stollen oder in dem Keller eines Hauses. Heute Abend 7 Uhr hl. Messe bei uns im Keller, nachdem wir den Altar hergerichtet haben mit den letzten Blumen und duerftigem Kerzenlicht. Eine grosse Anzahl Nachbarschaft ist anwesend. Kaplan.B. erteilt allen die Generalabsolution, alle empfangen in feierlichem au- genblick die hl. Kommunion. Am Abend haben wir noch Gelegenheit, einem Soldaten Briefe mit- zugeben, die ins Reich reisen sollen. 23.9.44 Artillerie und Panzerbeschuss wie gewohnt, besonders heftig um Mittag. Abends 7 Uhr hl. Hesse in unserem Keller, 26 Teilnehmer. Heftiger Brand am oestlichen Horizont. 24.9.44 Unruhige Nacht! Ein Panzerauto faehrt dauernd hinter unserm Haus herum, gibt droehnende Schuesse ab, bald fern, bald nah, bis 5 Uhr. In der Morgenfruehe sprengen deutsche Soldaten die Eisenbahn- bruecke zur Helfferichstrasse. Bei Prang dringen deutsche Sol- daten ins Haus, durchwuehlen die Schraenke, rauben. 5 Uhr Nachmittags hl. Messe in unserm Keller, 25 Beter sind anwesend. Wir erfahren, dass ein Herr und eine Dame vom Stollen aus heimlich zum Brimborner Waeldchen hinueber gingen und die Amerikaner baten, dem Elend der 180 Menschen (Zivilisten) im Stollen ein Ende zu machen, indem sie diesen ihrer Linie ein- verleiben. 25.9.44 Ruhige Nacht! Am Morgen brennt auf Beverau die Haeuserreihe ab, die der Feind- stellung am naechsten ist. Amerikaner warfen die Brandfackeln hinein. Zu 20 Mann dringen sie in ein weiteres Haus ein. Von den darin versteckten Soldaten wird einer Gefangener, der andere bleibt tot. Dann treten die Amerikaner an den Stollen heran, durchsuchen ihn nach Soldaten und Waffen, ohne Erfolg. Grosse Vorbereitungen in unserer Kellerkueche! Die Stollenleute haben ein Schwein geschlachtet, wovon reichlich auf unsere 15 koepfige Essgesellschaft entfallen ist. 26.9.44 Nachts, 2 Uhr erscheint die Polizei vor dem Stollen. Befehl: Der Stollen muss sofort geraeumt werden. Seine Insassen machen sich bereit zum Abtransport ins Reich! Manche gehen noch waeh- rend der Nacht mit, andere warten bis zum Morgen, eine Menge ueberlistet die Polizei und bleibt, setzt sich in leer stehende Haeuser, bis zu 20 Mann in 1 Haus. Franz meldet uns das, noch ehe wir aufstehen. Folge; Groesste Angst und Aufregung! Wir befuerchten, dass die Polizei auch die Haeuser durchsucht und raeumt. Was wird dann aus uns? Wir bangen um Franz und Martin. Martin kommt unbemerkt zu uns herueber. Mit groesster Muehe erreicht er, dass nach seinen Anordnungen alles ruhig bleibt, so als ob niemand in unserem Haus wohne. Vom fruehen Morgen bis zum Spaetnachmittag anhaltender stroemender Regen! Wir freuen uns, dass es Regenwasser zum Kochen und Reini- gen gibt. Aber o weh! Zahlreiche Loecher im Dach lassen das edle Nass in Baechen und Baechlein durchfliessen ins Haus durch die Zim- merdecken, teils bis zum Erdgeschoss zeigt es deutliche Spuren. Es gibt nicht Kannen und Kuebel genug um die Seeen aufzufangen auf dem Speicher, im 2. und 1. Geschoss. Im Nachmittag klopfen Braunsdorfer an die Haustuer. Sie wollen sich verabschieden vor ihrer Abreise ins rechtrheinische Land. Sie sind im hoechsten Grade nervoes augereiben durch Packen und Schleppen, durch die gewaltsame Trennung von Hab und Gut. Sie lassen sich ganz beeindrucken von Schauermaerchen, die man den Unschluessigen Abwanderern vorhielt: Erschiessen der Zivilisten, Unterrminierung ihrer Haeuser, Zerstoerung durch Flammenwerfung! Die phantastische Darstellung der Ereignisse wirkt aufreizend auf die schon so oft gequaelten Nerven unserer Hausinsassen. Neue Unentschlossenheit, angsterfuelltes Schwanken zwischen Blei- ben oder Abwandern greift wieder Oberhand. Martin hat Vernunft und Gewalt noetig, um wieder eine zum Bleiben entschlossene Einheit herzustellen. 27.9.44 Wir bleiben verschlossen im haus, schleichen nur durch den Gar- ten herueber zu Familie H., um ihnen regelmaessig die 3 Mahlzeiten zu bringen. Oft kommen die Toechter H. das Essen holen. Artillerie-Kampf von fern und nah. Die Deutschen schiessen aus der Stadt vom Lousberg her auf die amerikanischen Stellungen im Wald. Wir beginnen das letzte Brot. 28.9.44 Artillerie-Beschuss! Deutsche Soldaten werden seltener in der Helfferichstrasse. In unserer Nachbarschaft gibt es nur Spaehtrupps und Vorposten. Der Gefecntsstand ist in Rinkens Haus, 6 Haeuser ueber uns. Deutsche Kampflinie, Ziel der amerikanischen Artillerie ist der Bahndamm, etwa 50 m hinter uns! Heute hat Burscheid manchen Treffer auszuhalten. Wir hoffen von Woche zu Woche auf Befreiung. Bei Cohnen wurde ein Kalb geschlachtet. Auch fuer uns und Horbach gibt's reichen Anteil. 29.9.44 Nach Mittag kreisen stundenlang Tiefflieger, arbeiten mit Bord- waffen und Bomben. Abends Arti1lerie-Taetigkeit. Einschlaege den Wald entlang ueber Preussweg bis Vaelser-Quartier. 30.9.44 Ruhige Nacht! Ruhiger Morgen! Draussen Nebel! Franz bringt den deutschen Wehrmachtsbericht, erfuhr ihn durch Nachbar Hanrads, der mittels Detektor hoert. Es heisst, die Divi- sion Schwerin soll durch eine neue abgeloest sein. Diese habe den Auftrag alle Zivilisten gefangen zu nehmen. Martins eindringliche Mahnung, unbemerkt im Hause zu verbleiben, ist immer wieder noetig. Nachmittags dringen deutsche Soldaten vom Bahndamm herauf bis auf die ehemalige Flakstellung. Ein amerikanischer Vorposten wird verwundet. Er heftet einen weissen Lappen an den Rock, kriecht auf den Knieen muehsam vor bis zum Gegner. Dieser fuehrt in fort bis auf den Gefechtsstand in Rinkens Haus. 6 deutsche Soldaten suchen die Flakstellung ab, verkriechen sich dann in einer Hecke, wo zuvor Ein-Mann-Loecher gegraben wurden. Es ist die Heche, die auf der benachbarten Wiese rechtwinkelig zu unserem Haus verlaeuft. Nun aber gibt's Feuer von der amerikanischen Stellung her auf die Buschhoehe hinter der Flakstellung. Das geht auf die Flak- wiese, die Querhecke, die Gaerten unserer Haeuserzeile, auch auf den Bahndamm. Eine Flakbude brennt. Grosse angstpsychose in unserer Kellerbehausung! Anni ist zu aengstlich, ins Bett zu gehen. Philipp ist noch bis zum Morgen in groessten Angstnoeten, will abermals abwandern ins Reich. An diesem Tage merken wir so recht, wie die Not von Tag zu Tag waechst Ich erinnere mich, dass in Baelde (7.X.) Rosenkranzfest zu Ehren Maria-Viktoria ist als Erinnerung an die Rosenkranzkoenigin, die 1571 durch ihre maechtige Fuerbitte den wunderbaren Seesieg bei Levanto ueber die Tuerken vermittelte und das Abendland vom Halb- mond_befreite. Wer zaehlt die wunderbaren Erfreiungen, die seitdem durch die Fuerbitte der Maria Viktoria geschehen sind? Wir sind uns einig, heute die Novene zu Ehren Maria Viktoria zu beginnen. Auch das Nachbarhaus tut mit. Das Bildnis der Mutter- gottes erhaelt einen Ehrenplatz im Keller. 1.10.44 Ruhige Nacht nach dem Sturm! Am Morgen werden die angstbewegten Gemueter durch Martin wieder getroestet und mit neuer Entschluss- Kraft gefestigt. Regentag! Alle verfuegbaren Gefaesse stehn oben, reichen aber nicht aus zum Auffangen der eindringenden Wasserfluten. Das unwider- stehliche Nass sickert durch und macht die Decken stellenweise zu Brei. Mit beginnender Daemmerung wird das Wetter wieder gut. Wir sehen Feuer auf Morsbach, Wuerselen; Rauch entsteigt dem Bahn- damm, der Haeuserreihe Turpinstrasse, die durch den staendigen Be- schuss des Bahndamms viel auszuhalten hatte. Ploetzlich sehen wir einen Nahkampf zwischen den Stosstrupps hinter unserem Haus. Das Feuer der Gewehre, M.G. und Handgranaten geht hin und her, her und hin zwischen Bahndamm und Querhecke, wo die Deutschen sitzen, und dem Gehoelz auf der Hoehe, das dem Amerikaner gehoert. Da es daemmert, erkennen wir die Feuerkugeln deutlich, die wie die Baelle spielender Kinder gut gezielt durch die Luft fliegen. Ende des Kampfes: 6 der Deutschen in der Hecke nehmen Reissaus in Richtung Bahndamm! 9 Uhr Bettruhe! Es beginnt stundenlanges, pausenloses Bombardement mit allerhand Schusswaffen. Das Haus bebt. 2.10.44 Nachmittag! Die Querhecke und Umgebung liegen unter Artillerie- Beschuss durch die Amerikaner. Die Deutschen beschiessen den Wald, die Artillerie-Stellung der Amerikaner. Am Abend klopft wieder U. Bransdorf an unsere Kellertuer. Sie hat es gewagt, von rechts- rheinisch her noch einmal vorzudringen nach Aachen, zu ihrer Woh- nung, um Sachen zu holen. Ein grosses Wagnis! In nervoeser UEberspanntheit sprudelt sie am laufenden Band Schauer- maeren heraus ueber ihre Reise, besonders aber ueber die katastro- phalen Gefahren, die den in der umkaempften Stadt Aachen verblei- [hier fehlt ein Teil des Textes] faszinierenden Gewalt, dass die Gemueter der anwesenden ganz davon gefangen wurden. Eine Einrede oder Widerrede zur Vernunft war un- moeglich. Und so begaben wir uns mit diesen Eindruecken zu Bett ohne einen ruhigcn Schlaf zu finden. Der Gedanke an Abwanderung zermarterte wieder die Koepfe. Lilli hat in der Nacht starke Herzbeschwerden, muss aufstehn und zu einem Medikament greifen. 3.10.44 Am fruehen Morgen, noch vor dem aufstehn gehn wir die Schauerar- gumente zu unserer Abwanderung, die man uns einreden wollte, noch einmal durch, erkennen die frappanten Widersprueche, den phantasti- schen Unsinn der nervoes ueberspannten Erzaehlerin. Noch ehe wir auf- stehn, hat die Vernunft gesiegt. In unserer Schlafstube denkt kei- ner mehr an Abwandern. U. Br., die ueber Nacht unser Gast war, Verlaesst uns wieder am Morgen, um noch einmal ihr Haus aufzusuchen, um alsdann wieder nacn rechtsrheinischem Gebiet zu verschwinden. Diese Gelegenheit benutzen wir, U. Br. noch einige Briefe mitzugeben, die wir schnell am Morgen verfassten. 4.10.44 Morgens grosses Organisieren bei Opitz! Lilli, Anni, Marianne sind eifrig taetig. Die Versorgungsfrage fuer unsere 13 koepfige Gemein- schaft ist wieder fuer eine Zeitlang geloest. Nachmittags Spaehtruppgefecht in der Gegend der Flakstellung hinter unserm Haus. Ein Verwundeter, mit einem Zivilmantel bekleidet, ohne Kopfbedeckung, wird von 2 Soldaten heruntergebracht. Ein beschossenes Haus brennt ab! Spaet Abends fernes Aufblitzen von Artillerie-Feuer am suedoestlichen und nordwestlichen Horizont. 5.10.44 Am Morgen grosses Heimholen von Obst. Namentlich AEpfel! Anni trifft bei Opitz mit einem Feldwebel zusammen, der sie mahnt, sich ja nicht sehen zu lassen, er sagt, dass die Wehrmacht keine Zivilisten dulde im Kampgebiet. Auch Frau Gerhards traf mit einem Soldaten zusammen, der Hoechst erstaunt fragte:"Wie? sind hier noch Zivilisten? Wissen Sie nicht, dass Sie mitten im Kampfgebiet sind?" 6.10.44 Nachts hoerten wir dauernd die reissenden Einschlaege der Granat- werfer, dicht um unser Haus herum gehn die Treffer. Am Morgen sehen wir den Kirschbaum umgelegt. Pfannschmidts Haus hat einen Treffer. Den ganzen Morgen rege Taetigkeit von Jagdbombern, dazwischen dauernd Granatwerfer. Ein Einschlag gerade vor unserm Haus, als ich am Fenster sitze und auf die Strasse schaue. Schwarzer Dampf und etwas Schrecken! Der Bauer Peters, der mit Waffengewalt gezwungen wurde seinen Hof zu verlassen, ist Heimgekehrt. Der zweite Versuch, sich vom Fluechtlingsstrom zu trennen, gelang ihm in Guerzenich bei Dueren. Er hat noch 2 Beverau-Bewohner mitgebracht. Da das Gut Peters in Haenden der Amerikaner ist, kehren die 3 in Prangs Haus ein. 7.10.44 UEber Nacht staendig Kampftaetigkeit, Granatwerfer grei- fen an. Baltes ist als Soldat mit seinem Militaermotorrad unter dem Schutze des Nebels noch einmal in die Stadt gekommen, herauf zur Helfferichstr., um noch ein letztes Mal Sachen zu holen, da ein Ein- und Ausschlupf nach bzw. von Aachen fast unmoeglich ist. 8.10.44 Eine Nacht, wie wir sie zuvor noch nie erlebten! 4 Uhr wachen wir auf durch anhaltendes, droehnendes Artilleriefeuer. Dazu Panzerrollen und Panzerschiessen - bis 1/2 2 Uhr ! Von deutscher Seite faellt kein Schuss. Bei hellem Tag lebt der Kampf um den Bahndamm wiederauf. Einschlaege dicht vor und hinter unserm Haus! Treffer in den Zaun am Erdbeer- beet! Splitter in Lillis Wohnzimmer, durch dessen Wand in die Vorratskammer hinein! Ein Unteroffizier taucht im Gartentor gegenueber auf, scheu, geduckt, nach oben und unten Ausschau haltend. Soldaten kommen von unten her. Diesen meldet er:"Wir haben keine Munition mehr, die Panzer schies- sen dauernd." Kein Soldat wagt mehr die Strasse ab und auf zu gehn. Zum Gefechtsstand in Rinkens Haus schleichen alle, gut getarnt, durch die Hausgaerten der rechten Strassenseite. Scheinbar ist die Telefonleitung zum Gefechtsstand zerstoert. 3 Soldaten halten sich in Barths Garten versteckt, sie buddeln sich ein in unserm Garten, graben nahe der Hecke 2 Loecher. Dauernder Beschuss der Vorposten durch die Amerikaner! Dazu die uebliche Befeuerung des Bahndamms! Wir gewahren Glas- und Pliesterschaeden in nie gekanntem Ausmass. Die Strassenfront, die bis jetzt noch ziemlich heil war, weist kein ganzes Fenster mehr auf. Das Badezimmer kann nur noch fuer Luftbaeder gebraucht werden. Wir halten uns ganz eingeschlossen, reden nur mehr in Fluesterton. Es ist unmoeglich, den Nachbarn das gewohnte Essen zu bringen. Kaplan B. hatte vor, 5 Nachmittags bei uns die hl. Messe zu fei- ern. Da wir dieses fuer ausgeschlossen halten, verrichten wir 11 Uhr gemeinschaftlich die Messgebete im Keller-5chlafraum, heute sehr ergriffen und andaechtig mit Verehrung der Maria Viktoria, zu der wir heute, am letzten Oktavtag ganz vertrauensvoll unsere Zuflucht nahmen. Noch ehe unsere Andacht zu Ende ist, fliegen ploetzlich die Fensterscheiben in Splittern um uns herum und auf den Tisch, hervorgerufen durch den Luftdruck eines Granatein- schlags vor unserem Haus. Wir erschrecken, aber keinem ist ein Leid geschehen. Zum Mittagessen wird nicht gekocht, wir begnuegen uns mit noch vorhandenen Resten. Es herrscht auch eine Stimmung, die die Ess- lust toetet. Schon wenn wir bedenken, dass unsere Nachbarn nun ganz und gar von unserer Versorgung abgeschnitten sind. Ganz vorsichtig beobachten wir durch die Rolladen-Ritzen das Tun und Treiben unse- rer Soldaten, das Hin und Her zum und vom Befehlsstand. Sie lassen sich das Obst in unserm Garten gut schmecken, am besten die Pfirsiche, die saemtlich aufgezehrt werden. Als Nachtquartier dient den Soldaten der Keller in Barths Haus. In der Daemmerung wird hinter unserm Gartenzaun ein Kamerad mit Bauchschuss auf einer Bahre herunter getragen. Dieser Tag brachte auch allerhand Treffer in der Nachbarschaft. Bodets Haus ist an der Giebelseite durch 2 Treffer furchtbar zer- stoert. Das Haus zur Eule hat auch wieder einen Hieb abgekriegt. Der schoenste Baum vor Eberts Haus ist zerstoert. 9.10.44 Die Nacht ueber anhaltender Beschuss des Bahndammsl Noch ehe wir aus den Betten sind, klopft es an unsere Kellertuer. Es ist Franz, begleitet von mehreren Amerikanern, die Einlass begehren. Schon stehen sie neben unseren Betten, begruessen uns sehr freundlich, aengstlich forschend, ob noch deutsche Soldaten in unserm Haus seien. Wir hoeren, dass gestern schon die ganze linke Seite der Helfferich- strasse in amerikanischem Besitz war, das man nun schon Beverau und Helfferichstr. bis zu uns genommen habe. Unser Staunen ueber die so unerwartete Befreiung ist nicht zu er- messen. Wir koennen es kaum fassen, dass wir nun ans Tageslicht kommen, in der Sonne atmen duerfen, keine Geschosse, keine bedroh- lichen Spaeher mehr zu fuerchten haben. Alle rufen wir in einem Gedanken:Maria Viktoria! wir nehmen uns vor, unsere Retterin nie zu vergessen. Dem Amerikaner, der meinem Bette zunaechst ist, erklaere ich, wie es kam, dass wir hier blieben und 4 Wochen unter sich immer mehr tuermenden Schwierigkeiten im Keller verharrten, was er mit Ver- staendnis aufnahm. Dem Verhalten der Amerikaner merkte man nicht im geringsten den Feind an, so anstaendig und hoeflich waren sie bei der Durchsuchung der Haeuser. Dies veranlasste uns, den von den Strapazen der Nacht mitgenommenen Kaempfern unsere Kognak- flasche anzubieten. "Kognak will soon bee off" sagte einer der Amerikaner lachend, analog zu der bei uns sich wiederholenden Frage:" Are German soldiers gone off?" - Wir koennen es naemlich immer noch nicht fassen, dass nun gar kein Deutscher mehr in unserm Verteidigungs- nest sitzen sollte. Einige Amerikaner stiegen in Barths Keller, wo gestern Abend noch 5 deutsche Soldaten hausten, einer sass derweil kniend mit ge- zueckter Flinte vor dem Eingang, halb versteckt in der Ecke. Zum Glueck war der Keller leer und entstand so keinerlei Schiessen. In unserer Kellertreppe wurden die letzten Glaeschen Kognak geleert. Wir wuenschten den Kaempfern weiter glueckliche Fahrt. "Ja", sagte einer, der traurig, gesenkten Hauptes mitten in der Kellertreppe sass "dass auch wir bald heimkommen, wir sind seit 2 Jahren von hause fort!" Nachdem die Eroberer fort sind, gehn wir befreit und froh an das Fruehstueck, das heute wesentlich besser mundet. Unser bescheidener Imbiss ist noch nicht halb verzehrt, da kommt urploetzlich der amerikanische Befehl: Alle Anwohner der Helfferichstr. muessen sich sofort auf der Hoehe der Strasse sammeln, da wir fuer 2 Tage rueckge- fuehrt werden nach Eupen, um dem Beschuss der deutschen Artillerie zu entgehen. Keine Nahrungsmittel sind mitzunehmen! Die Haustuer ist zu schliessen, alles, was im Haus ist, bleibt unangetastet! Das glaubten wir woertlich, packten hastig das Notwendigste zu- sammen und schieben die Helfferichstrasse hinauf bis zur Hoehe am Wald vor Winkens Haus. Wehe! Welches Bild bietet die Strasse? Eine unglaubliche Zerstoe- rung hat die Schiesskunst beider Gegner angerichtet. Ruinen wie nach einem Bombenangriff! Die ganze Beverau ein Truemmerfeld! Am Wege liegen ausgestreckt die gefallenen Kaempfer. Ich sehe, wie ein Amerikaner, fest angeschmiegt an ein Haus, so dass er kaum erkennbar ist, mit einer Pistole auf einen Deutschen schiesst. Noch ehe der Schuss ins Weite geht, springt er wie eine Eidechse zurueck. Die Deutschen beschiessen heftig das ihnen eben entrissene Gelaende. In Rinkens Haus empfaengt uns der Ruf der Amerikaner:"Down!" Mit ihnen steigen wir eilig in den Keller, wo gestern noch die deutschen Soldaten aushielten, waehrend im Obergeschoss bereits die Amerikaner Hausherr waren. Ein Fuehrer aus den Reihen der Amerikaner empfaengt uns zur Begleitung bis zum Transporter. Ehe wir die breite Strasse zum Waldrand ueberqueren, ruft uns der Amerikaner zu:"Schnell und in gebueckter Haltung laufen!" Wir durchwandern noch einige Strassen der zertruemmerten Beverau und sind gluecklich, den schuetzenden Wald erreicht zu haben. UEberall begleitet uns auf unserm Wege die Musiek der Schusswaffen. Totes Vieh liegt, teils getroffen, teils verhungert, am Wege. Wir sehn die Panzer, die Kanonen, gut getarnt durch Gebuesch, deren Taetigkeit uns 4 Wochen lang beunruhigte. Es geht vorbei an der Gallwitz-Kaserne, die unter dem Beschuss der Deutschen schwer ge- litten hat, bis zur Wirtschaft Goldhausen, wo wir uns zu kurzer Rast hinsetzen. Als wir den Weg fortsetzen, erscheint ein Auto, das unser Gepaeck mitnimmt. Wir sind wesentlich erleichtert. UEber Lichtenbusch, dessen Haeuser zum Teil verlassen sind, erreichen wir Lintert, Endpunkt unserer Wanderung. Das Schulhaus ist ganz von den Amerikanern eingenommen. Gatzweiler sind ausquartiert und duer- fen ihr Haus nicht betreten. Hinter einem kleinen Bauernhaus, der Schule gegenueber, harren wir des Abtransports. Eine Menge deutscher Kriegsgefangener steht uns gegenueber. Abgekaempft und elend, brueten diese stumpf vor sich hin. Es ist verboten, sich ihnen zu naehern. In einer Waldwiese sehen wir gut getarnte Kanonen, die andauernd mit droehnendem Geraeusch ueber die Stadt feuern. Ein Amerikaner schreibt uns alle auf mit Namen und Anschrift. Neugierig suchen wir immer wieder zu erkunden, wohin denn nun eigentlich unsere Reise gehe. Es heisst dann:"Ihr kommt in ein benachbartes Dorf, den Namen wissen wir nicht, viel- leicht nach Eupen, vielleicht auch in ein Fluechtlingslager." Zwei amerikanische Reporter gesellen sich zu uns, um ueber deutsche Zustaende und Parteiangelegenheiten allerlei zu erfahren. Wir sind bedrueckt durch das ungewisse Schicksal, dem wir entgegen gehn, aber doch etwas getroestet durch die vornehme, hoefliche Haltung der Amerikaner uns gegenueber. - Von Gegnerschaft oder Hass gegen Deutschland merkt man nichts, wohl aber, dass die Amerikaner ein besonderes Verstaendnis fuer den katholischen Teil der deutschen Bevoelkerung haben. Nach langem Warten fahren 2 Lastautos vor, die bestimmt sind, je eins die Frauen und die Maenner mit ihrem Gepaeck aufzunehmen. Unsere Fahrt geht ueber Oberforstbach, Hallset, Eynatten, Kettenis, Eupen nach Homburg zum Fluechtlinslager. Wir sind gluecklich, die Kampfzone hinter uns zu haben, wieder einmal friedliche Ortschaften zu sehen, die nicht durch Kampf zerstoert sind. Unterwegs gewahrten wir eine Talwiese, mit ein paar Zelten, wo Mengen deutscher Kriegsgefangenen standen. 10.10.4 "Das Einfachste, das Schwerste und das Hoechste, was ein Mensch tun kann: in aller Ausweglosigkeit dennoch zu vertrauen."